Ein Gespräch mit Oliver Bertram über Nachhaltigkeitsregulierung, Klimawandel und die Rolle der Immobilienwirtschaft
Die im Februar 2025 veröffentlichte EU-Omnibus-Verordnung hat in der österreichischen Immobilienbranche zu intensiven Diskussionen über das richtige Maß an Regulierung im Bereich der Nachhaltigkeit geführt. Im Rahmen eines Expertengesprächs haben wir Oliver Bertram, Geschäftsführer von teamgnesda, zu seiner Einschätzung der Verordnung und ihren Auswirkungen auf die österreichische Immobilienbranche befragt.
Balance zwischen notwendiger Regulierung und bürokratischer Belastung
Bertram vertritt eine nuancierte Position: „Also ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Verordnungen so gering wie irgend möglich gehalten werden sollten. Ich bin aber auch der Meinung, dass die Verordnungen, die jetzt Verordnungen zur Nachhaltigkeit sind, sehr, sehr wichtig sind und wir aus einer Welt kommen, die ganz anders funktioniert hat und deswegen in dieser Komplexität möglicherweise auch notwendig sind."
Diese differenzierte Betrachtungsweise spiegelt die Herausforderung wider, einerseits die dringend notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz voranzutreiben, andererseits aber auch die wirtschaftliche Belastung für Unternehmen in Grenzen zu halten. Die aktuelle Omnibus-Verordnung zielt genau auf diese Balance ab, indem sie Berichtspflichten zeitlich streckt und harmonisiert, ohne jedoch die grundsätzlichen Nachhaltigkeitsziele aufzugeben.
Keine Kehrtwende in der Klimapolitik
Auf die Frage, ob die Abschwächung der Berichterstattungspflichten für kleinere Unternehmen eine politische Kehrtwende in der EU-Klimapolitik darstellen könnte, antwortet Bertram entschieden: „Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, denn wir wissen, dass die Notwendigkeiten ganz andere sind. Also wir haben Nachhaltigkeitsnotwendigkeiten, wir können einen Klimawandel nicht umkehren. Wir können ihn maximal abschwächen, wir werden darunter leiden."
Diese Einschätzung deckt sich mit der Expertenmeinung von Hannah Dellemann, Head of Sustainability bei INTREAL, die ebenfalls betont: „Die Omnibus-Verordnung stellt keine ESG-Kehrtwende auf EU-Ebene dar. […] Keinesfalls sei damit ein ‘Zurückdrehen’ der ESG-Regulierung beabsichtigt."
Technologische Innovation als Schlüssel zur effizienten Berichterstattung
Ein innovativer Aspekt, den Bertram in die Diskussion einbringt, ist die Rolle moderner Technologien bei der Vereinfachung der Berichterstattung: „Ich habe eigentlich eine andere Hoffnung. Wenn ich jetzt eine Hoffnung in dieses für mich eigentlich eher negative Ergebnis setzen kann, und zwar ist es, dass wir die Möglichkeit haben, über KI und KI-Datenbanken möglicherweise diese ganze Berichterstattung teil zu automatisieren und zu vereinfachen."
Dieser technologiegetriebene Ansatz könnte ein entscheidender Faktor sein, um die von der Omnibus-Verordnung angestrebte Balance zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Durch die Automatisierung von Berichtsprozessen könnten Ressourcen freigesetzt werden, die Unternehmen dann in strategische Nachhaltigkeitsprojekte investieren können.
Die Notwendigkeit externer Steuerung
Eine zentrale Erkenntnis aus dem Gespräch mit Oliver Bertram ist seine Überzeugung, dass der Markt allein nicht in der Lage sein wird, die notwendigen Veränderungen im Bereich der Nachhaltigkeit herbeizuführen: „Ich glaube, im Bereich der Nachhaltigkeit wird der Markt das nicht selber regeln." Auf die Nachfrage, ob der Finanzierungssektor und die Nachfrage das Thema Dekarbonisierung ausreichend vorantreiben könnten, antwortet er unmissverständlich: „Ich glaube nicht ohne Druck von außen."
Diese Einschätzung unterstreicht die Bedeutung regulatorischer Rahmenbedingungen, selbst wenn diese – wie im Fall der Omnibus-Verordnung – zeitweise abgeschwächt oder vereinfacht werden. Die grundsätzliche Notwendigkeit von Leitplanken für die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit bleibt bestehen.
teamgnesda: Vorreiter bei nachhaltigem Flächenmanagement
Als Geschäftsführer von teamgnesda bringt Oliver Bertram seine Expertise in die praktische Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien ein. Das Unternehmen hat sich als Pionier im Bereich nachhaltiger Arbeitsplatzkonzepte positioniert und quantifiziert in seinem Office Report 2025 das enorme Einsparpotenzial bei Büroflächen.
Bertram bezeichnet die derzeitige ineffiziente Flächennutzung in Bürogebäuden mit durchschnittlich 19,5 Quadratmetern pro Person als „ökologisch unverantwortlich". Der Office Report 2025 beziffert das Einsparpotenzial bei Büroflächen auf beachtliche 28,4 Prozent, was allein in Wien etwa 3,3 Millionen Quadratmeter entsprechen würde – eine Fläche größer als die Bezirke Mariahilf und Neubau zusammen. Die damit verbundene Reduktion des Energieverbrauchs wird mit 20 Terawattstunden jährlich beziffert, was der Leistung von zwei Atomkraftwerken entspricht.
Implikationen für österreichische Immobilienunternehmen
Für österreichische Immobilienunternehmen ergeben sich aus der Omnibus-Verordnung sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Zu den Vorteilen zählen:
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Reduzierte Berichtspflichten und verlängerte Übergangsfristen, besonders für kleinere und mittlere Unternehmen
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Bessere Harmonisierung verschiedener Nachhaltigkeitsregulierungen
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Neue Chancen für die nachhaltige Sanierung von Bestandsimmobilien
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Freisetzung von Ressourcen für strategische Nachhaltigkeitsinitiativen
Gleichzeitig bestehen Risiken wie:
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Fehlinterpretation der Verordnung als grundsätzliche Abkehr von der Nachhaltigkeitsagenda
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Möglicher Verlust bereits erzielter Fortschritte
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Fortbestehende Erwartungen von Stakeholdern bezüglich ESG-Transparenz
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Fortdauernde rechtliche Unsicherheit
Fazit: Die „Stop the Clock"-Maßnahme als strategische Chance
Die EU-Omnibus-Verordnung sollte nicht als Kehrtwende, sondern als strategische Pause verstanden werden, die es Immobilienunternehmen ermöglicht, ihre Nachhaltigkeitsstrategien zu optimieren. Wie Oliver Bertram betont, bleiben die grundlegenden Herausforderungen des Klimawandels bestehen: „Wenn wir es jetzt langsamer machen, wenn wir jetzt weniger tun, werden wir später dafür die Quittung und die Rechnung bekommen."
Die von der Verordnung gewährte zeitliche Entlastung sollte daher genutzt werden, um qualitativ hochwertige Daten- und Prozessstrukturen aufzubauen, bestehende ESG-Initiativen fortzuführen und den Dialog mit Stakeholdern zu vertiefen. Nur so kann der österreichische Immobiliensektor seine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit erfolgreich gestalten – mit oder ohne regulatorischen Druck.